Musik kann gar nicht alt genug werden, um nicht erst im Augenblick, in dem sie gespielt und gehört wird, lebendig, sehr jung zu sein.
Was schert uns der Moment? In die Hände geklatscht, schon ist er vorbei. Normalerweise interessiert uns doch viel mehr: Was kommt morgen?
Die Musik schafft es immer wieder, uns in die Gegenwart zu setzen. Musik kann gar nicht alt genug werden, um nicht erst im Augenblick, in dem sie gespielt und gehört wird, lebendig, sehr jung zu sein.
Man mag an ihr vielleicht barocke, klassische oder avantgardistische Spuren oder gar den Namen des Schöpfers erkennen. Das Alter ist beim Spielen und Hören völlig irrelevant, es passiert dann, wenn es passiert, im Jetzt! In diesem Augenblick sind wir als Horchende solidarisch miteinander verbunden und brauchen sonst nichts zu tun als zu lauschen.
Im März dieses Jahres sind wir ausnahmslos alle zu Anfänger*innen in einem kollektiven Ausnahmezustand geworden. Wer Anfänger ist, muss früher oder später etwas anzufangen wissen, selbst wenn es nicht freiwillig geschieht. Als Anfängerin, als Anfänger betritt man Neuland, wenn es auch nicht das erste Mal sein muss. Ein Virus hat uns allesamt in eine Warteposition gebracht. Wir mussten und sollen immer noch Abstand voneinander halten.
Vieles ist uns in diesen Tagen wieder bewusst geworden, was wir brauchen und was wir zu glauben brauchen. Eine unglaubliche Erfahrung, für viele auch existenziell. Das asynchron Geglaubte und Selbstbehauptete hat sich als Illusion entpuppt: Es wurde uns die Kontrolle über unseren Alltag entzogen und wir bemerkten, das meiste ohnehin nie unter Kontrolle gehabt zu haben.
Wir mussten auf Distanz gehen, um uns als Gesellschaft wieder näherzukommen. Unsere Behausungen wurden zu exklusiven Gegenwartszimmern für alles. Dort saßen und arbeiteten wir, unterrichteten unsere Kinder und so vieles mehr.
Bemerkenswert war doch das Bedürfnis, von sich hören zu lassen. Wenige Tage nach Beginn des Lockdowns wurden die Balkone und Terrassen zu Konzertpodien. Fast täglich gab es Balkonkonzerte. Innenhöfe, Straßenzüge und Plätze wurden mit Klang erfüllt. Manchmal wurden sogar gemeinsame Lieder ausgerufen und wir wurden durch eine weitläufige Klangwolke verbunden.
Musik verbindet spielerisch, es ist ein Grundbedürfnis, von sich hören zu lassen und gehört zu werden. Im Hören ge-hören wir zueinander, wissen voneinander. In Zeiten der Distanz wird hörbarer, was wir Menschen brauchen.
Das letzte Linzer Großereignis vor dem Lockdown war unsere „Missa Universalis“. Die Resonanz auf dieses Ereignis war schlichtweg ergreifend. Nach „Nulleins“ war es das zweite Konzert in unserer eigenen Konzertreihe, die damit begründet worden ist.
In der langen Orchestergeschichte haben wir jetzt erstmals unsere eigenen Konzerte im Brucknerhaus. Damit wird ein neuer Raum geöffnet. Wir brauchen gemeinsame Räume, um in Beziehung zu sein. Das wissen wir nicht erst seit dem Ausbruch der Pandemie, die uns immer noch beschäftigt.
Wir freuen uns auf viele Begegnungen in unserem Raum, in unserer Konzertreihe und sonst wo, wo wir spielen und gehört werden können!
Erschienen in: Orchesterbuch des Jahres – Bruckner Orchester Linz 2020.21
Foto: Volker Weihbold / „Bruckner und sein Raum“ von Josef Bauer