Erschienen in: Landstrich Nr. 27 (2011)
Die Haustür hinaus. Die Wiese hinauf. Bei der Stadltür rein. Quer durch den Hof. 23 Stufen. Den Gang zurück. Nach rechts. Dort wo der Schuhkasten steht, der in wiederkehrenden Albträumen meiner Kindheit eine unpassierbare Schlangengrube beherbergt hat. Schnell weiter. Die Glastüre hinein.
Im Licht, mit dem Rücken zum Fenster, saß Großmutter, zu der ich nie so sagte. Oma mit ihren zwölf Dioptrien, als ob ihre gütigen Augen je der Vergrößerung bedurft hätten. Schräg gegenüber, als er noch da war, thronte Opa neben dem Fernseher, der auf einem Tisch stand, in dessen Lade sein Aluminiumlöffel klebte, mit dem er aus der weißen blaurandigen Emailschüssel seinen picksüßen Kaffee löffelte.
Darin schwammen Riesenwürfel, die er aus einem Geisensheimer Brotlaib geschnitzt hatte, indem er ihn zur Brust nahm und das Messer durch diesen an sich heranzog. In der für uns Kinder verbotenen Richtung. Körperabgewandt war die Regel.
Der Bäcker selbst, der eigentlich Müller war, brachte jeden Freitag diese archaischen Laibe, deren Kümmelgeruch mir so abrufbar ist, wie der Duft der frisch beackerten Felder rundum den großelterlichen Hof. Der lag nur einige Höhenmeter über meinem Elternhaus, das früh zu meinem Mutterhaus geworden ist, da der Vater in eine Wohnung in der Stadt gezogen ist.
Der Großvater, den ich als aufrechten Riesen in Erinnerung habe, war laut seinem Pass zehn Zentimeter kleiner, als ich es heute bin. Die Nächte hat er, der Kleinbauer mit knapp vier Schuljahren, in seinem Bett durchgelesen. Den Kopf auf drei Polster hochgebettet. Daneben brannte die schirmlose Nachtkastenlampe, gleich einem ewigen Licht, nicht rot, aber grell blendend.
Warum ich dies weiß, kann ich nicht sagen, da ich nie bei Nacht im Schlafzimmer meiner Großeltern war. Aber ich erinnere mich daran – an mir. Auf meinem Bett finden sich drei Kopfpolster, daneben Berge von Büchern, nur meine Lampe hat einen Schirm.
Heute kann ich fast nicht mehr Opa sagen, zu lange ist er weg und doch da. Großvater lehrte mich in Spannung zu gehen und wieder loszulassen. Er baute uns, mir und meinen Brüdern, aus Hollerstaude, Kälberstrick und Trattnachschilf Bogen und Pfizipfeil. Unsere Pfeile landeten treffischer auf Dächern oder blieben im Geäst hoher Bäume hängen.
Er sorgte für Nachschub so lange er konnte, bis er im letzten Sommer nur mehr in der Sonne saß. Mit Hut am Kopf zerdrückte er ohne Brille mit seinem Gehstock punktgenau die Ameisen am Boden. Trotz Verkalkung wusste er bis zu seinem Verschwinden von Hauptstädten, deren Länder ich bis heute nicht kenne.
Während Oma immer noch den Apfelstrudel über den Tisch zog. Wie weit sie gehen durfte, wusste sie immer viel zu genau. Große Augen, noch größeres Herz. Und Zuckerbutterbrot für uns Kinder. Meine Brüder mochten es mehr als ich, aber der Gedanke daran ist süß.
Ich hasste den Kindergarten, blieb lieber bei ihr. Mit meinem weißen Fahrrad, seinem roten Sattel und der Furcht vor den Schafen. Später, größer, rannte ich in der Finsternis noch schnell hinauf zu ihr. Es ging um nichts, doch sie schaltete im Gegensatz zur Linzer Oma den Fernsehapparat ab.
Sie war da, auch mit nicht geringem Taschengeld von ihren 2000 Schilling an monatlicher Pension. Noch heute spüre ich das Kribbeln auf meinem Unterarm. Sie hängte ihren linken Arm ein am Weg vom Sonntagmittagessen bei uns zu Hause nach Hause. Von zu Hause nach zu Hause.
Noch höre ich ihre Aufregung bei einem der Telefongespräche, als ich fern der Heimat lebte. Sie wartete bis ich zurückkam, freute sich und ging selber kurz nach Weihnachten. Vor kurzem sah ich meinen Vater das erste Mal Schach spielen. Ich wusste gar nicht, dass er es kann. Er spielte mit seinem Enkel. In meinem Mund hatte ich plötzlich den Geschmack von Zuckerbutterbrot.