Rede von Norbert Trawöger zur Ausstellung von Wolfgang Maria Reiter: Zeit.Schrift in der Galerie Forum Wels am 5. Februar 2014
Präludium 1.
Als Obmann-Stellvertreter der Galerie Forum vertrete ich dich (Anm.: Wolfgang M. Reiter, Obmann der Galerie Forum) heute und vertrete mir an dieser deiner Stelle meine Wortbeine hier an dieser, deiner Stelle. Mich an dieser deiner Stell’ vertretend – ich vertrete mich damit also selber – darf ich heute amtsführend, wenn auch nicht die Geschäfte, doch das Eröffnungsritual anführen, um nicht zu sagen zelebrieren. Und die rhetorische Frage an den Anfang stellen: Was wäre die Galerie Forum ohne dein an dieser deiner Stelle sein? Ohne dein dich Beeindruckenlassen und dein dich eben nicht Beeindruckenlassen. So sind wir was wir sind, auch durch dich, durch dein Vorangehen an und in diesem Epizentrum der Kunst, des Menschseins.
Um in der Hierarchie präzise, wenn auch nicht korrekt, an dieser deiner Stelle vorzugehen, begrüße ich dich, lieber Wolfgang, in der Galerie Forum hier von und an dieser deiner Stelle ganz herzlich und zuallererst. Willkommen hier an dieser, deiner Stelle in deiner Galerie!
Und natürlich begrüße ich auch Sie, Euch voll Freude an diesem denkwürdigen Tag der Galeriegeschichte zur Eröffnung von Wolfgang Maria Reiters Ausstellung ZeitPunktSchrift. Schön, dass Sie da sind. Schön, dass Ihr da seid.
Mit der Bitte um Verzeihung um die reversiven Vorgänge im Begrüßungsprotokoll, sie gehen ganz alleine auf meine Kappe, die ich niemals tragen werde, begrüße ich herzlich die Ehrengäste.
Präludium 2.
Denk-würdig ist dieser Tag. Zu Wolfgang Maria Reiters Selbstverständnis gehört auch die Zurückhaltung, eben an dieser seiner Stelle nicht unbedingt auszustellen. Im zweiten Jahrzehnt seiner Obmannschaft war dieser Zustand nicht mehr tragbar und mit einem, vielleicht auch meinem langen pädagogischen Atem ist es gelungen, diesen Missstand an dieser seiner Stelle in einen Zustand zu verwandeln: Er tat dies letztlich und ganz freiwillig selbst in den letzten Wochen für hier und heute und die nächsten Wochen bis zum 1. März.
Präludium 3.
Eines will und darf ich hier auch nicht unberührt und unbemerkt lassen, das ist der Umstand ganz ohne umständlich zu sein, mit Dir befreundet sein zu dürfen. Ich stehe hier an dieser deiner Stelle nicht von amtswegen, sondern vom immer wieder Bewegtsein eines Austausches, eines Aneinanderseins, eines gegenseitigen Erkennens, Auskennens und Fragens, ohne dass ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen möchte. Dies wollte auch dankbar gesagt sein, gerade hier an dieser deiner Stelle, die eben auch dadurch ein wenig meine ist.
Nach diesen kurzen Vorspielen, Sie haben ja Zeit, oder? Zeit hat hat man nicht, sondern nimmt sie sich. Und nachdem Sie sich ganz offensichtlich Zeit genommen haben, nehme ich sie in Anspruch, Ihre Zeit und vielleicht auch Sie. Ja, die Zeit ist ein sonderbar Ding, heißt es im Rosenkavalier.
Erlauben Sie mir hier an dieser seiner Stelle noch cirka 57 Paralipomena, Impromptus, Bagatellen, Zwischenbemerkungen, Fragen, Gedanken, Randbemerkungen zu Wolfgang Reiters Schaffen. Bemerkungen vom Rand her, wo dieser auch immer ist. Sind es doch 57 plus zwei Werke, die uns hier gezeigt werden. Just in dem Jahr in dem Wolfgang Maria Reiter 57 Jahre wird. Zufall?
Versuchen Sie nichts von dem zu fassen, ich kann und will es auch nicht. Was sich an Ihnen festhält behalten Sie und schauen, lauschen, fühlen oder denken beruhigt damit, wenn Sie wollen.
1.
Ostinates Schreibthema seit 1998
V. Brüder, seid nüchtern und wachsam; denn euer Widersacher,
der böse Feind, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht,
wen er verschlinge. Widersteht ihm tapfer im Glauben!
(1. Petr. 5, 8. 9.) Unsre Hilfe + kommt von dem Herrn.
A. Der Himmel und Erde erschaffen hat.
2.
Noch am ehesten auszuhalten / war es unter dem Birnbaum / zu Hause – liest man bei Enzensberger
3.
Auch der Widersacher ist mit einer Sache beschäftigt.
Hoffentlich ist es seine und nicht meine, deine.
4.
Brüllende Löwen beißen nicht, sage ich einmal so und wiege mich hier an dieser deiner Stelle und mit dir an meiner Seite kühn und ruhig in Sicherheit.
5.
Corragio, heißt es südlich
6.
Zeit Punkt Schrift.
7.
Ist der Punkt ein Punkt,
8.
oder eine Leerstelle für einen Umschlagplatz von Zeit und Schrift?
9.
Verwechseln Sie mir Überschreibung nicht mit Überschrift.
10.
Wir können uns nichts abgewöhnen, sagt die Hirnforschung.
Wir vermögen alte Gewohnheiten mit neuen in unserem Speicher zu überschreiben.
11.
Verwechseln Sie mir den Schöpfer nicht mit seinem Werk, auch wenn sie mitunter zum Verwechseln ähnlich sind.
12.
Wir sind immer oben
und wenn wir einmal unten sind,
ist unten
oben.
Otto M. Zykan
13.
Er werde dorthin reisen.
14.
Wohin?
15.
Ins Zentrum oder an den Rand?
16.
Wo ist das Zentrum?
17.
Am Rand?
18.
Links?
19.
In der Mitte?
20.
Am Kopf?
21.
Im Kopf?
22.
In Schrift. Inschrift.
23.
Beachten Sie die Ränder?
24.
wie von einem nassen Finger, der langsam,
langsam über den Rand eines dünnen Glases
streicht. Ein immer ferneres Klingeln,
das klingelt und mich nicht schlafen läßt.
Hans Magnus Enzensberger
25.
Anschaubare Musik, nicht aufgeschrieben. Nicht abgeschrieben.
26.
Lauschen Sie!
27.
Nicht auf dem Podest!
(Zitat Wolfgang Maria Reiter letzten Sonntag)
28.
Ansammlung keine Versammlung, auch wenn es heute danach aussieht.
29.
Anhäufung
30.
VerDichtung
31.
Ansammlung
32.
Anhäufungverdichtungansammlungverdichtungansammlunganhäufung
33.
Leichtigkeit, trotzdem und deswegen.
34.
Aus der Form geraten heißt ganz streng in der Form zu sein, zumindest davor.
35.
Echte Leichtigkeit liebt Akribie.
36.
Nur / das Unauffällige bleibt, / seelenruhig
Enzensberger
37.
Nur wer vieles übersieht,
kann manches sehen.
Enzensberger
38.
Seid nüchtern und wachsam!
39.
Zumindest wachsam!
40.
Widersteht, ohne stehen zu bleiben.
41.
Unablässig schreibst du diesen Vers aus dem ersten Petrusbrief
42.
treibst ihn über die Grenze der Kenntlichkeit, enthebt ihn seiner wörtlichen und damit persönlichen Fassbarkeit und transformierst ihn auf und in Schwingungsebenen, die in unterschiedlichen Aggregatzuständen und Formaten ihre Sichtbarkeit finden –
43.
oder sollte man doch besser von Hörbarkeit sprechen?
44.
Bist du seismografischer Kalligraf deines Motivs, ohne es schönschreiben zu wollen?
45.
Die oft stundenlange Repetition des Ewiggleichen lässt Partituren entstehen,
46.
die am Papier erklingen,
47.
ohne gespielt werden zu müssen.
48.
wie von einem nassen Finger, der langsam,
langsam über den Rand eines dünnen Glases
streicht. Ein immer ferneres Klingeln,
das klingelt und mich nicht schlafen läßt.
Hans Magnus Enzensberger
49.
Das Konkrete tanzt sich im metrischen Duktus ins nicht greifbare Wesentliche hinein.
50.
Selbstklinger.
51.
Insichselbstklingen
52.
Insichselbstinsklingenkommen
53.
Das Wort gewinnt an Bedeutung.
54.
Ist Klang geworden.
55.
Viel mehr Klänge.
56.
Was man festhalten kann,
was einen festhält, das ist das Wenigste.
Enzensberger
57.
wie von einem nassen Finger, der langsam,
langsam über den Rand eines dünnen Glases
streicht. Ein immer ferneres Klingeln,
das klingelt und mich nicht schlafen läßt.
Hans Magnus Enzensberger
Norbert Trawöger im Februar 2014.
Im Dialog über „nichts“
Wolfgang Maria Reiter im Gespräch mit Norbert Trawöger