Norbert Trawöger außer sich.

Rede von Norbert Trawöger zur Eröffnung der Jahresausstellung Jeder Künstler ist ein Mensch in der Galerie Forum Wels am 28. November 2012

Außer sich zu sein, überhaupt außer sich geraten zu können, hat mindestens eine Grundvoraussetzung, die davor in sich sein zu müssen. Wäre ich kunstfertig genug, würde ich jetzt coram publico aus der Haut fahren. Eine Aktion, die mit Sicherheit in die Galeriegeschichte und vielleicht sogar in die der Stadt Wels Eingang finden und vermutlich meine letzte sein würde, denn ich glaube zu wissen, dass das wieder hineinfahren noch mehr Kunstfertigkeit erfordert als die Elevation – und mir bliebe nur die Hoffnung auf die Himmelfahrt, was wiederum nicht in letzter Gewissheit angenommen werden kann.

Außer-dem kann ich nicht einmal sicher sein, dass dies als Kunstaktion durchgehen wird, menschlich vielleicht verständlich, aber in künstlerischer Hinsicht fraglich. Oder doch vice versa?

Fakt ist, ohne mich kann ich nicht leben, wie Franz Hohler ein menschliches Urgefühl, Urbedürfnis in nur sechs Worten auf den Punkt gebracht hat.

Außer-dem möchte ich noch ein bisschen bleiben, vorerst, um außer mir zu sein, ohne meinen Körper zu verlassen. Ich versuche es mit einem Äußern aus dem Innern, menschlich vielleicht unzulänglich, keineswegs einer Kunstfertigkeit willen, aber einer inneren Notwendigkeit folgend und wenn es nur die ist, dass ich es mir hier und jetzt und vor allem selbst eingebrockt habe, außer mir zu sein oder zumindest in diesen Aggregatzustand langsam aber sicher geraten zu müssen.

Ja, jede Künstlerin ist ein Mensch, jeder Künstler nicht minder.

Was ist dies – ein Hinweis, eine Feststellung, eine Erinnerung, eine Aufforderung? Es fehlen Ruf- und Fragezeichen und nicht einmal ein Punkt beendet diesen Satz. Allein dies ist eine Provokation, wenn schon, dann zumindest mit Punkt, aber sogar das wird offen gelassen.

Und wenn ich die mehr als siebzig Kunstwerke betrachte, sehe, spüre, fühle ich höchst unterschiedliche Antworten und in mir tauchen noch mehr Fragen auf.

Fragen über Fragen, Antworten und noch mehr Fragen.
Was ist jetzt richtig oder falsch?
Wer weiß es?

Ehrlich gesagt, ich gebe absolut gar nichts dafür, um die eine Antwort zu bekommen und ich gebe sehr viel dafür, viele Antworten zu bekommen und damit noch mehr Fragen.

Ich will mir überhaupt nicht mehr sicher sein, nicht einmal dessen, wer ich selber bin?
Aber wo bleibt dann die Ordnung?

Dabei hilft mit sicherheit auch keine Ordnungswache, selbst wenn sie evaluiert wird.
Nach ihrem Wert befragt, wie im Moment so manche Bildungs- und Kultureinrichtungen in unserer Stadt.

Es wird vom Wert gesprochen, aber es ist nicht der Wert, der gemeint ist, der ist bei weitem höher als der Preis, der in wirklichkeit gemeint ist.

Es hat sich noch nie ausgezahlt, Stätten der Bildung, Orte der Neugier, der Fragen, in Frage zu stellen, nur dann, wenn wir wieder eine Gesellschaft der Gleichgültigen heranziehen wollen, die durch lautstarke Volkstribunen der Angstmache dennoch genau wissen, wo wer und was hin oder weg gehört. Meistens nicht hier her, die sollen alle wo anders hin, aber nicht da, wo wir sind, die Ausländer, die Drogenkranken, die Raucher, die Brillenträger, die Unfrisierten, die Unter-einem-Meter-siebenundachtzig, die, die Fragen stellen, denn sie beschmutzen das Nest, auf dem mit großen Lettern der Begriff „Heimat“ montiert wurde.

Wer kann es sich heute noch leisten, Fragen zu stellen?

Zeit ist Geld und Geld wird anscheinend immer teurer und unleistbarer und vielleicht ist Kunst genau dann noch ein vorletzter Ort, an dem nicht die eine Antwort verhandelt wird, da es sie ganz einfach nicht gibt. Und doch viele mögliche und vor allem undenkbare, wo mehr und mehr Fragen aufgeworfen werden und diese Fragen Fragen sein lässt. Wie die Sehnsüchte, die jeder Mensch in sich trägt, nach dem Ungreifbaren, der Fantasie, dem Spielen, den Unmöglichkeiten, der Zärtlichkeit, der Liebe, dort wo der Mensch ganz Mensch ist, unter Menschen, mit Menschen.

Liebe Mitmenschen, dass eine Künstlerin und ein Künstler Mensch ist, ist zu hoffen, sicher ist nur, dass jeder Mensch Mensch ist, nicht durch die eingeredeten Scheinsicherheitsmassnahmen, dabei meine ich nicht per se soziale Absicherungen, die sind gut und dürfen auch teuer sein, genau so wie die Räume, Orte, in denen der Wert des Fragenstellens hoch gehalten, bewusst gemacht und entdeckt werden kann. Angst und Angstmache führen direkt ins Reich der Ausgrenzungen, ins Land der Richtigen, die wissen, was falsch ist.

Erfahrungen von Bildung, Kultur, Übung im Spielen, Träumen, Fühlen, im Kreiren erhöhen die Gefahr eigener Mündigkeit, einer unaufhaltsamen Lust Selbstverantwortung, erhöhen die Gefahr, eigene schöpferische Flüsse zu entdecken, die einen oft selbst am meisten überraschen, weil nicht so definitiv festmachbar und kontrollierbar ist, von wo sie kommen, wohin sie gehen. Aber dort sind wir am meisten Mensch und erlauben damit auch anderen, es zu sein. Sie machen uns alle gefährlich und herrlich unberechenbar, wie wir es gerade in diesem Moment in diesen Räumen erfahren können.

Dies ist kein Aufruf zur Anarchie, aber zumindest einer zum Widerstand für Selbstverantwortung, Verbindlichkeit, Begeisterung, Hingabe, Freiheit von Pseudophobien, Lebendigkeit und dadurch gegen Gleichgültigkeit, Gleichschaltung, Preisundwertverwechslungen, Angstmacherei …

Jeder Künstler ist ein Mensch, hoffe ich doch.

Noch lieber ist mir, jeder Künstler wird immer mehr und mehr ein Mensch und am allerliebsten wäre mir, jeder Mensch ist und wird und wird und ist ein Mensch, immer mehr und immer wieder …

Menschsein hat wenig mit Sicherheiten zu tun, wie es in der Kunst kaum welche geben kann.

Das Recht auf Bildung wie auf Kreativität muss unabdingbar ein menschliches Grundrecht bleiben und dies für kleine und große Menschen!

Eingeläutete Sparmaßnahmen zeigen schon, wie die mangelnde Ausbildung im Schöpferischen, im Ideenfinden fatale Wirkungen zeitigt. Es fehlt an Visionen oder schon an Mut, nur welche zuzulassen. Dafür letztlich lautstark und unnachgiebig einzutreten, ist Aufgabe nicht nur der Politikerinnen und Politiker, die ohnehin zur Zeit vor allem mit den Machenschaften des Machbaren beschäftigt sind, nicht nur der Künstlerinnen und Künstler, sondern jedes einzelnen von uns, ob Mensch, Mensch oder Mensch, als Mensch, Mensch oder Mensch …

Die Zeit ist wieder verdammt knapp!

Norbert Trawöger, 28. November 2012